Zeitgleich zu dem Interview mit Christian Spannagel erschien in der ZEIT (3.5.2012 Nr. 19) ein Artikel von Thomas Assheuer zur Debatte um das Urheberrecht, die im Augenblick von den Wahlerfolgen und Programmdebatten der Piraten und der Kampagne „Wir sind die Urheber“ angeheizt wird. Mir hat der Artikel zu zwei Erkenntnissen verholfen:

  • Die Debatte zum (negativem) Verhältnis von Subjekt und Medium ist (natürlich) älter als das Internet. Die digitalen, vernetzten Medien drängen uns vor allem eine neue Sichtweise auf dieses Verhältnis auf und lassen dass, was bisher ungeklärt geblieben ist (bleiben muss), deutlicher hervortreten.
  • Ich selber – mit einem notwendigerweise begrenztem Blickfeld – bin mit meinen Gedanken ein Teil dieses Diskurses ohne das ich es wußte. Das mag nun an der laienhaften Begrenztheit meines wissenschaftlichen Horizonts liegen oder am unausweichlichen Schicksal eines Professionellen, die immer auch eine Begrenzung des Horizonts bedeutet.

Was schreibt nun Thomas Assheuer? Es geht, so Assheuer um nicht weniger als das „Leben und Sterben des Urhebers in der digitalen Welt“. Dabei referiert er die geistesgeschichtliche Debatte der 70er und zitiert die These „Was der Alteuropäer einen ‚Urheber‘ nenne, das sei in Wirklichkeit bloß ein winziger ‚Knoten‘ im Flechtwerk von Texten, Zeichen und Diskursen.“. Diese Geisteshaltung werde nun, unter den Bedingungen der digitalen Gesellschaft von z.B. den Piraten zugespitzt:

„Wer in der schier unerschöpflichen Lava aus Texten, Tönen und Bildern noch nach dem klassischen Urheber sucht, der sucht ihn vergeblich. Der ‚alte‘ Urheber, das Originalgenie des Abendlandes, wird von den digitalen Strömen verschluckt; im Netz sind Individuum und Gemeinschaft kaum mehr zu unterscheiden. Alles fließt, und alle sind alles gleichzeitig: Die User, sagen die Piraten, sind Produzenten und Konsumenten, sie sind Verteiler und Vervielfacher. Das Betriebsgeheimnis des Netzes ist die Kopie.“ 

Assheuer sieht darin die Forführung der „philosophischen Großdebatte“ um die „Macht und die Herrlichkeit des Subjekts“, die aus der Aufklärung erwachsen und über Nietzsche, Heidegger, Jünger, Gadamer schließlich bei Friedlich Kittler zur prekären Situation des „starken Subjekts der Moderne“ führte, dass im „Strom des computergenerierten Wissens, [dem] Strom der Codes, der Zeichen und Daten“ seine Substanz verliert. An diese philosophische Rundschau schließt Assheuer anhand eines Zitats
des Berliner Piratenkapitäns Christoph Lauer seine Fundamentalkritik an, die mir zunächst spontan einleuchtet. Den die Piraten, so Assheuer

„erwecken den Eindruck, als sei die Technik an sich schon eine natürliche Wahrheit, ein absolutes Sollen, aus dem heraus sich die Anwendung zwingend ergibt. Warum eigentlich?“

Dieses Argument hat aus meiner Sicht zwei Seiten:

  • Das Argument sticht erst mal, so meine ich, weil es die Option aufmacht, dass Technik – und insbesondere ein großtechnisches System wie das Internet – eben nicht einfach da ist und eine unhinterfragbare Eigenlogik einfach besitzt. Vielmehr wird auch der virtuelle Raum von Menschen gemacht, Menschen die Interessen haben, die Entscheidungen treffen und die insgesamt aus jeweils guten Gründen so oder so Handeln. Wenn das „Medium die Botschaft“ ist, dann sollten wir auch fragen, wer diese Botschaft verfasst hat  und welche Botschaften diese Menschen haben.
  • Das Argument von Assheuer ist andererseits auch hinterfragbar: Und zwar an dem Punkt, an dem es die Freiheit der AutorInnen impliziert, dem empfundenen Zwang der sich ändernden Bedingungen einfach ausweichen zu können. Das scheint mir auch nicht plausibel, denn: Das wir uns in beständiger Auseinandersetzung, Aneignung und Abgrenzung gegenüber der „Anwendung“ von Technik (also der Logik des Werkzeugs) befinden, ist aus meiner Sicht eine zeitlose Frage: Die Dialektik zwischen Menschen und ihren Werkzeugen (und in diesem Sinne auch Medien) beschäftigt seit deren Entwicklung das Denken und wird mit der Verbreitung des Computers als Synonym für die Zuspitzung der „Umkehrung der Schreibrichtung in der Moderne“ (Werner Sesink) interpretiert.

Am Ende des Artikels schwenkt Assheuer dann noch mal auf eine existenzielle Ebene ein. Virtualität hat eine materielle Grundlage: Computer, Betriebssysteme, Strom, Elektroschrott: Auch die Bestandteile eines Chips werden irgendwo und irgendwann aus den natürlichen Resssourcen gekratzt. Und auch die Virtualität findet im dreidimensionalen Raum statt: Dort, wo Menschen mit Computern Arbeiten, Lernen und Leben sind mehr Faktoren am Werk als allein der Code. Wer sich bei der Analyse und bei der Suche nach Handlungsorientierung alleine auf die virtuellen Eigenschaften des Mediums beschränke, der habe

“schlicht vergessen, dass die Menschen noch ein zweites Leben führen, eine Existenz in der analogen und leibhaftigen Wirklichkeit. Sobald sie das Netz verlassen, den täuschenden Schein des Egalitären und die Gleichheit der User, betreten sie das Reale, die soziale Welt der Kämpfe und der Ungleichheit, und dann sind sie wieder Subjekte aus Fleisch und Blut, wie die chinesischen Arbeitssklaven, die in einer modernen Hölle die Computer für Apple und Co zusammenlöten, wenn sie sich nicht gerade aus Verzweiflung vom Fabrikdach gestürzt haben.”

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