In der vergangenen Woche konnte ich die Open Science Conference 2017 in Berlin besuchen, unter anderem um das Poster zu präsentieren, dass wir aus dem Kreis des GMW-Vorstands eingereicht hatten (Hier gibt es das Poster und die Kurzpräsentation). Auf der gut besuchten, gut gelaunten Konferenz (Rückblicke gibt es hier und hier) waren es zwei Begriffe, die in fast jeder Keynote, jedem Beitrag auftauchten und die für mich zu der gerade herrschenden 4.0-Hurra-Stimmung eine wichtige Ergänzung sind: Change & Challenge ist ein gutes Begriffspaar, wenn auf den Punkt gebracht werden soll, was das Prinzip der digitalen Offenheit für Wissenschaft, Bildung und Gesellschaft bedeutet und bedeuten sollte.

Change Ahead

MAX System Change Ahead
Foto: Jason McHuff

Der Change bezieht sich auf den ökonomischen und kulturellen Wandel der mit der Digitalisierung einhergeht. Explosionsartige Vermehrung von Information und potentiellem Wissen, Verdatung immer weiterer Teile unserer Welt, allgegenwärtige Vernetzung und fortschreitende Automatisierung verändern natürlich auch die Grundlagen und Praktiken des wissenschaftlichen Forschungs- und Publikationssystems. Open Science, Open Data und Open Access sind Ausdruck eines sich wandelnden Wissenschaftsverständnis, das auf freiem Austausch von Information und Wissen, Transparenz der Strukturen und Interesssen sowie horizontalen Peer-Strukturen beruht.
Das sind nicht mehr nur die Träume einer kalifornischen Nerd-Kultur, Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass einer sich expansiv verstehenden Wissenschaft gar nichts anderes übrigbleiben wird, als die Gestaltung einer neuen Wissensordnung unter den Bedingungen und mit Hilfe der Werkzeuge der Digitalisierung in Angriff zu nehmen. Ein Zurück zu vordigitalen Verhältnissen ist nicht machbar, es gilt die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Und so werden auch viele handfeste Projekte vorangetrieben um die Infrastrukturen, organisatorische Voraussetzungen und Prozesse zu schaffen, die den Austausch und die Kooperation ermöglichen, zum Beispiel das GeRDI-Projekt, dass die Vernetzung von Forschungsdatenzentren vorantreiben will. Mit der europäischen Wissenschafts-Cloud hat auch die Europäische Kommission ein politisches Zeichen gesetzt und eine technologische Zielvision formuliert. Dieser Wandel ist in vollem Gange, seine Auswirkungen auf Forschungs- und Wissenschaftsverständnis sind nach wie vor offen, sicher ist aber, dass im Ergebnis ein Wissenschafts- und Forschungssystem da sein wird, dass mit dem was wir heute kennen, nicht mehr viel zu tun haben wird.

There are no Problems…

Challenges bezieht sich auf die Möglichkeiten und Risiken, die es im Zusammenhang mit einer offenen Wissens- und Bildungskultur zu realisieren bzw. zu vermeiden gilt. Das eigentliche Risiko, so wie ich das sehe, ist hier eigentlich
nicht, dass der „Wandel“ nicht stattfindet (das ist in einer neuen Wissenskultur quasi unvermeidbar), sondern das in dem Bereich der Lehr-/Lernkultur einfach nichts geschieht: Open-Educational-Ressources gehören zwar scheinbar natürlich zu den „drei O’s“ aus Open-Science, Open-Access und Open-Educational-Resources aber von einem mühelosen Übergang bzw. einer sich gegenseitig stützenden Dynamik wie im Forschungs- und Publikationssystem kann (noch) keine Rede sein. Der Grund dafür ist bekannt: Die Herausforderungen beziehen sich hier nicht auf einen Prozess der technologischen Innovierung, sondern der technologische Wandel unterstreicht dringlich die Notwendigkeit, Lehren und Lernen nicht nur neu zu denken, sondern eine neue Praxis zu entwickeln. Das ist keine Neuigkeit: Der „Shift from Teaching to Learning“, die Realisierung von Kompetenz-, Studierenden- und Subjektorientierung ist als Zielvorstellung schon seit 20 Jahren in der Diskussion – alleine die Frage, wie dies in Schulen, Hochschulen und anderen Bereichen zu Verankern sei, ist noch nicht gelöst – die entsprechenden Studien und die Fachdiskurse z.B. auf der dghd-Tagung im März 2017 scheinen das zu bestätigen. Es sind bekannte Herausforderungen an die Lehr-/Lernverhältnisse, die auf der Agenda stehen: Es ist aber eine hochdringende Notwendigkeit, diese möglichen Weiterentwicklungen jetzt konkret anzugehen, der Hinweis, dass dies halt im Bereich der Lehr-/Lernkultur schwierig sei, ist sicher richtig, reicht aber als Begründung für eine ausbleibende Weiterentwicklung nicht mehr aus.

Deep Change or Slow Death 

Auch in Hochschulen könnte sich sonst ungewollt folgende Erkenntnis durchsetzen: Forschung und Publikation sind zwar – entgegen aller gegenteiligen Beteuerungen – immer noch der Leitstrahl wissenschaftlicher Arbeit und Karriere aber die tradtionelle Inkompetenz darin, Ziele, Werte, Inhalte und Methoden der eigenen Wissenschaft an mehr Menschen weiterzugeben, als ausschließlich an die ausgesuchten Nachfolger*innen der eigenen Forschungslinie, ist kein Zukunftskonzept. Der sprichwörtliche akademische Elfenbeinturm ist heute transparent, vernetzt und ziemlich niedrig. Die Dringlichkeit der Frage nach einer neuen Lehr-/Lernkultur wird heute deshalb so sichtbar, weil abzusehen ist, dass das herrschende Verständnis von Lehren und Lernen nicht hinreichen wird, der folgenden Generation dabei zu helfen in der digital gewandelten Welt zurechtzukommen.

E.Paolozzi – Icarus (1957)

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