Aktueller Anlass für dieses Post ist die kurze, engagierte Diskussion unter Hochschullehrenden auf dem Workshop der Hochschule für Telekommunikation Leizpig (HfTL) Ende September, die ich miterleben dürfte. Dort stand (wie des öfteren in den letzten Jahren) die Frage im Raum, wie sich die Netzwerke und Kommunikationszusammenhänge, die in Social-Software (SoSo)-Portalen (also: „Facebook“) für die Unterstützung von Lehr- und Lernprozesse nutzen lassen könnten.
Die Diskussion bildete das Spannungsfeld ab, in die sich ähnlich gelagerte Diskussionen zumeist bewegen: Am einen Pol die Haltung, sich der Dienste und Prozesse, die das Web 2.0 bietet, anzunehmen und deren Potential für bildungsbezogene Zusammenhänge zu nutzen. Am anderen Pol die Position, dass den „Kraken“ Google, Facebook & Co mit dem gebührenden Mißtrauen begegnet werden müsse und darauf verweisend, dass es nicht angehe, die Nutzung kommerziell und juristisch diffuser Geschäftmodelle zu unterstützen. Am Ende der Diskussion stand die Aussage „Im Netz ist nichts umsonst“ im Raum. Mich hat diese Diskussion beeindruckt, weil sowohl Offenheit für das Neue wie Kritikfähigkeit desselben spürbar waren. Für mich war die Diskussion auch Anlass, meine Positionen und offenen Fragen zum Thema „Web 2.0 / Social Software in der Hochschule“ zu sortieren. Das sieht dann

(vorläufig) so aus:

  • Es sollte in Begriffsbestimmung und Wortwahl zwischen „Web 2.0“ und „Social Software“ unterschieden werden. Mit „Web 2.0“ würde ich die heutige Netzkultur bezeichnen und in diesen Begriff alle kreativen, produktiven, kommerziellen, pädagogischen, ideologischen und sonstigen Bedeutungszusammenhänge mit aufnehmen, die zur Beschreibung einer lebendigen, zeitgenössischen Medienkultur beitragen können. „Social Software“ ist hingegen am besten als medientechnologisches System zu beschreiben – in gewissem Sinne also schlicht „die Software“ (die als Artefakt gesellschaftlicher Arbeit allerdings auch nicht im Sinne einer neutralen „Technik“ verstanden werden kann). SoSo zu nutzen ist nicht das gleiche, wie „das Web 2.0“ zu nutzen – und sollte daher auch nicht durcheinandergebracht werden. Die Begriffsverwirrung droht sich zu verschärfen, da lt. Wikipedia der Begriff „Web 2.0“ allmählich durch den Begriff „Social Media“ ersetzt werde.
  • An die Anwendung des Web 2.0  im Bildungsbereich wird vielfach die Diskussion um das „informelle Lernen“ geknüpft. Die Argumentation verläuft dann, so wie ich sie wahrnehme, entlang folgender Kette: A) Die Menschen lernen kontinuierlich informell mit und im Web. B) Das formelle Lernen (z.B. in der Hochschule) steht vor großen Herausforderungen für die neue Lösungen gesucht werden müssen. Also C) sollten wir die informellen Lernprozesse für das formelle Lernen erschließen. Dieser Argumentation konnte ich noch nie ganz folgen: Wenn informelle Lernprozesse in formale Kontexte eingebunden werden, dann werden sie formalisiert – sind ergo keine informellen Lernprozesse mehr. Und dass merken auch die adressierten „Lernenden“ – sie ziehen sich nämlich aus den formalisierten, ehemals informellen Kontexten zurück. Kurz gesagt: Das informelle Lernen ist das Lernen, dass wir nicht formalisieren können – mit und ohne Web 2.0.
  • Um das Web 2.0 als Phänomen zu fassen den Einfluss und Einsatz in Bildungszusammenhängen richtig bewerten zu können, sollte der Blick „über den Tellerrand“ gerichtet werden. Es müssten also die technopolitischen, medienkulturellen und ökonomischen Zusammenhänge stärker in den Blick geonmmen werden. Insbesondere die ökonomische Seite des Web 2.0 scheint mir mehr wenig berücksichtigt. Es gibt auch überraschend wenig im Netz zu diesem Thema und das Vorhandene beschreibt das Phänomen in der Regel aus betriebswirtschaftlichen Perspektiven (z.B. „Enterprise 2.0“, Web-Marketing) . Mir scheint der Kernsatz der Ökonomie des Web 2.0, dass die Nutzer nicht die „Kunden“ sind, sondern dass sie das Produkt bzw. die Grundlage der Unternehmenswerte darstellen. „Viele Nutzer – hoher Unternehmenswert“. Was dies für Bildungs- und Kommunikationsprozesse bedeutet, die sich in dieser Sphäre abspielen, ist mir zumindest noch wenig deutlich. „Im Netz ist nichts umsonst“ – aber in welcher Form werden hier Werte übertragen, kumuliert und kapitalisiert? Und was bedeutet das für die „Netzkultur“?
  • „Im Netz ist nichts umsonst“ – wirklich nicht? Einerseits ist Web 2.0 augenscheinlich vor allem „Business“ und ich bin sehr dafür, diese Ökonomie eingehender und mit dem Blick der Pädagog(inn)en zu erfassen und zu bewerten. Andererseits bietet die Ökonomie des Netzes aber offensichtlich auch neue Möglichkeiten der Produktion und Distribution von Werten jenseits kommerzieller Interessen. „Open Content“ und „Open Educational Ressources“ sind hier vielleicht die besten Beispiele und Ansatzpunkte einer neuen ökonomischen Denkart.

Es gibt viele gute Argumente dafür sich der Social Software offen und gestaltend zu nähern, sie in Lehr-/Lern-Szenarien einzubinden und mit den gemachten Erfahrungen und Erkenntnissen weiter am Projekt „E-Learning“ zu arbeiten. Darüber hinaus kenne ich auch niemanden, der oder die als Anhänger(in) einer technozentristischen, unkritischen Haltung gegenüber Web 2.0 – Technologien und deren Einsatz in der Hochschule bezeichnet werden könnte. Ich meine aber auch, dass viele Diskussionen anzeigen, dass Medienkompetenz im „klassischen“ (Baacke’schen) Sinne, nämlich als Vierklang aus Medienkunde, Mediennutzung, Medienkritik und Mediengestaltung in der Auseinandersetzung mit dem Web 2.0 eine größere Rolle spielen sollten. Dabei scheinen mir gerade Medienkunde (nämlich z.B. das Wissen um die wirtschaftlichen Zusammenhänge von Web 2.0-Diensten) und Medienkritik (nämlich die krische Einordnung und in-Beziehung-setzten dieser Zusammenhänge mit einem – unserem – Bildungsbegriff) diejenigen Dimensionen die wir stärker berücksichtigen müssten.

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